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Die traditionelle Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin sorgt für viel Polarisierung. Ist sie ein festgefahrenes Ritual welches nur noch als Touri-Spektakel taugt, oder ein wichtiger Tag für linksradikale Kämpfe überall? Um den Partymassen beim Kreuzberger Myfest zu entkommen, wurde die Demo dieses Jahr nach Friedrichshain verlegt. Anstelle der, wie so oft, von der Presse hochgehypten Krawalle, verblieb einiges an Verwirrung und Frust. Mit folgendem Text wollen wir uns an der Debatte um den 1. Mai in Berlin beteiligen.
Eine entscheidende Frage scheint zu sein, wieviel Verantwortung jeweils organisierte und unorganisierte Menschen übernehmen müssen oder sollen, wieviel Gruppen selbst organisieren und durchplanen und wieviel kann bzw. sollte man von den nicht-organisierten Leuten erwarten?
Die Revolutionäre 1. Mai Demo wurde am Bersarinplatz vom Frontblock für beendet erklärt, entgegen dem vorher angekündigten Ende an der Warschauer Straße. Statt aber dort zu enden, und etwa wieder in die Rigaer Straße zurückzukehren, wechselten die führenden Reihen und die Demo ging bis zur Warschauer Straße weiter – wo sie gekesselt und 153 Menschen rausgezogen wurden[1]. Die Rigaer94 fragt sich, ob die Diskurse rund um ungünstige Endpunkte verborgen geblieben sind, oder ob die Organisierten keine genügenden Raumkonzepte angeboten haben, und schließt dann damit, dass „offensichtlich […] aber nur Wenige diese Überlegung geteilt [haben…]“[2].
Wir sehen hier eher die mangelnde Kommunikation als Problem. Etwas, was auch schon bei der diesjährigen Demo gegen den Polizeikongress ein Problem darstellte. Wir glauben nicht, dass besonders viele Menschen überhaupt mitbekommen haben, dass die Demo dort enden sollte. Die Entscheidung, keinen Lautsprecherwagen auf der Demo zu haben, ist nachvollziehbar, nichtsdestotrotz sollte sich für solche Aktionen eine verlässliche Kommunikationsstruktur überlegt werden, und seien es nur ein paar Megafone.
Jedoch teilen wir die Kritik, dass „[..] die Reihen, welche die Demospitze ab diesem Punkt übernahmen, [offensichtlich] keinerlei taktisches und politisches Verständnis [besaßen]“[3]. Zumindest diese Reihen, hätten bemerken sollen, dass etwas nicht stimmt, wenn auf einmal die 1. Reihe und der organisierte Block einpackt. Dadurch, dass es trotzdem weiterging, ist unserer Meinung nach auch die kritisierte „Konsumhaltung“ der nachfolgenden Menschen zu erklären.
Diese Konsumhaltung und das taktische Unverständnis ist auf jeden Fall zu kritisieren. Selbst auf wesentlich kleineren Demos mit wesentlich niedrigeren Erwartungen als die 1. Mai Demo, ist die Polizeistrategie des Abfilmens von vermeintlichen Straftaten, um die Personen am Ende zu kesseln und rauszuziehen, Standard. Besonders häufig trifft das Jugendliche, welche sich ohne jeden Anlass vermummen. Jedoch stellt sich die Frage, ob es nicht an organisierten Gruppen ist, entsprechende Angebote zu stellen, um diese Probleme zu überwinden. Kein Mensch kommt mit diesem Wissen auf die Welt, und sich das ganze nach trial and error anzueignen und währenddessen mit Repressionen überzogen zu werden, ist sicherlich keine Lösung.
Wenn wir Konsumhaltung und fehlendes taktisches Verständnis als Teil des Problems ausgemacht haben, ist es nicht an der organisierten radikalen Linken, dieses zu brechen? Ist es nicht an der organisierten radikalen Linken, entsprechende Räume zu erschließen? Als Teil der radikalen Linken trifft uns diese Kritik natürlich gleichermaßen. Unserer Meinung nach kann die Frage der Rigaer94 bezüglich den fehlenden Raumkonzepten mit einem klaren Ja beantwortet werden. Diese stellen aber nur einen Teil der Problematik dar, es ist also keine Entweder-Oder-Frage.
Vielleicht wäre es sinnvoll, abseits der herkömmlichen Demotrainings, zusätzliche Angebote zu schaffen, welche explizit derartige Konzepte versuchen zu vermitteln, etwa Raumnahme, Demo- und Polizeitaktiken sowie bereits erprobtes Wissen weitergeben. Reflexionen zum taktischen Vorgehen und den möglichen Potentialen waren vorhanden[4], allerdings ist fraglich, ob derartige strategische Überlegungen bei Indymedia zum gewünschten Ergebnis führen, wenn sich niemand konkret angesprochen fühlt und kein Austausch mit weniger erfahrenen Menschen entsteht.
Doch wie ist die diesjährige Demonstration allgemein zu werten? Das kommt vermutlich darauf an, mit welchen Erwartungen man an die Sache herangegangen ist. Erwartete man einen kraftvollen, militanten Widerstand a là Frankreich, wurde man ziemlich sicher enttäuscht. Auch einige der Reaktionen auf das in der Mainzer Straße rausgehängte Banner „Gegen jeden Antisemitismus!“ sprechen Bände über einige Menschen, die in dieser Demonstration mitlaufen. Genauso schade ist es, dass scheinbar nur der Berliner Kurier bemerkt hat[5], dass die ersten Reihen FLTI* only waren.
Eine Verbesserung zu den letzten Jahren, ist aber auf jeden Fall zu bemerken: weniger Touristen und eine fünfstellige Anzahl an Menschen auf einer unangemeldeten, linksradikalen Demonstration. Klar, immer noch viele Schaulustige, Selbstbespaßung in der Rigaer Straße und Ohnmachtserfahrungen im Kessel der Polizei. Es ist klar, dass die 1. Mai Demo sich nicht über Nacht komplett wandelt und innerhalb eines Jahres den Charakter einer Touri-Attraktion verliert. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist auf jeden Fall getan, und daran sollte in den Folgejahren angeknüpft werden.
[1] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/05/erster-mai-berlin-demos-bilanz.html
[2] https://rigaer94.squat.net/2019/05/07/einige-hoffnungsschimmer-zwischen-vielen-fragezeichen-der-1-mai-in-der-rigaer-strasse/
[3] ebd.
[4] https://de.indymedia.org/node/29008
[5] https://www.berliner-kurier.de/berlin/polizei-und-justiz/die-schwarze-block-warum-jetzt-frauen-in-der-ersten-reihe-demonstrieren-32461032